WDR 5 vom 15.01.2015 - Westblick Stadtgeschichten


Westblick Stadtgeschichten

 

Krefeld, Dr. Hirschfelder und der Frauenverein

 

Krefeld hat eines der größten Zentren für Kinder- und Jugendmedizin NRWs. Den Grundstein dazu legten ein jüdischer Arzt und einige engagierte Frauen: Isidor Kurt Hirschfelder und der 1827 gegründete Krefelder Frauenverein.

Das Säuglingsheim des Frauenvereins (Bildrechte: Frauenverein Krefeld)
Das Säuglingsheim des Frauenvereins (Bildrechte: Frauenverein Krefeld)

"Man kann sagen, dass der Dr. Hirschfelder zu den Krefelder Ikonen gehört," bestätigt Ingrid Schupetta, Leiterin der Krefelder NS-Dokumentationsstelle. Sie weiß eine Menge über Isidor Hirschfelder und seine Bedeutung für Krefeld. 1878 wird er als eines von fünf Kindern einer jüdischen Händlerfamilie in Süddeutschland geboren. "Er studierte Medizin, spezialisierte sich auf Frauenheilkunde und Kinderheilkunde," erzählt Schupetta, "was damals relativ neu war, und machte Karriere." Und zwar in Krefeld. Hier eröffnet er 1906 als 28jähriger die erste Kinderarztpraxis in Krefeld überhaupt. Hier behandelt er Frauen und Kinder – ganz gleich, ob sie nachts oder Tags vor seiner Türe stehen und ob sie bezahlen können oder nicht. "Soweit wir wissen, hat er auch eine Art kleines Umlageverfahren eingerichtet, indem er von den Leuten, die ihm nichts geben konnten, auch nichts genommen hat. Und die anderen, die es hatten, ein bisschen mehr hat bezahlen lassen."

Einzigartig für Krefeld: die Säuglingsstation

Sammeln für den Neubau des Säuglingheims (Bildrechte: Frauenverein Krefeld)
Sammeln für den Neubau des Säuglingheims (Bildrechte: Frauenverein Krefeld)

Für die Stadt ist Hirschfelder ebenso ein Glücksfall wie der Krefelder Frauenverein – damals eine kleine interkonfessionelle Gruppe von Frauen der gehobenen Gesellschaft, erzählt die heutige Vorstandsvorsitzende Esta Wolff. "Es waren fünf Krefelder Seidenweber- oder Färberfrauen, die ein wenig aus schlechtem Gewissen diesen Frauenverein gegründet haben," nennt Wolff die Gründe, "weil so viele Männer bei den Webern und Färbern starben und die Mütter und Kinder alleine waren, um die sie sich gekümmert haben." Sie helfen zum Beispiel im Haushalt, gründen eine Mütterberatungsstelle und 1914 sogar ein eigenes Säuglingsheim mitten in der Stadt. Gemeinsam mit Dr. Hirschfelder kämpft der Frauenverein gegen die Kindersterblichkeit, die zu der Zeit bei über 70 Prozent liegt. "Dass sich jemand um Säuglinge kümmerte, das war eine Emanzipation, die da stattgefunden hat. Eigentlich war das die Geburtsstunde der Krefelder Kinderklinik." Die sich bis heute zu einer der Größten in NRW entwickelt hat und inzwischen zur Krefelder Helios-Klinik gehört. "Wo man auf diese Vorgänger ja auch stolz ist." Dr. Hirschfelder arbeitet - nur unterbrochen von der Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg - mehr als 20 Jahre im Säuglingsheim. Er und die damals völlig neuartige Einrichtung genießen weit über Krefeld hinaus einen sehr guten Ruf bei Arm und Reich, "weil er offensichtlich eine sehr gute Art hatte, mit Kindern umzugehen und auch die besorgten Mütter zu beruhigen," berichtet Ingrid Schupetta. "Und er scheint sehr erfolgreich gewesen zu sein!" Doch für die politisch immer stärker werdenden Nationalsozialisten ist er in erster Linie nicht Arzt, sondern Jude – wie sein traditionell jüdischer Name Isidor schon deutlich macht. "Und im Laufe der Zeit passte ihm Isidor nicht mehr und er nannte sich selber Kurt. Hat das aber wohl offiziell nie geändert."

Die Nazis treiben Hirschfelder in den Tod

Isidor Kurt Hirschfelder (Bildrechte: Frauenverein Krefeld)
Isidor Kurt Hirschfelder (Bildrechte: Frauenverein Krefeld)

Die neuen braunen Machthaber konfiszieren sein Vermögen, zerstören seine Praxis, entziehen ihm die Approbation als Arzt und verbieten ihm, das Säuglingsheim zu betreten. Doch Deutschland zu verlassen, lehnt Kurt Hirschfelder ab. "Er war der einzige Arzt, der noch jüdische Kranke behandeln konnte. Und er hat seine Patienten nicht verlassen wollen." Außerdem vertraute er darauf, dass seine Verdienste um Krefeld und das Vaterland ihn schützen: "Dr. Hirschfelder hat sich ja nicht vorstellen können, deportiert zu werden," erzählt Esta Wolff. "Er hat immer gesagt, ich nicht. Und er hat das Eiserne Kreuz erster Klasse, für hohe Verdienste im ersten Weltkrieg, das ihm später eigentlich nichts genützt hat." Schmerzlich bewusst geworden ist ihm das wohl, so die Historikerin Ingrid Schupetta, als sein jüdischer Vertrauter und Fahrer 1941 ins Ghetto von Litzmannstadt deportiert wurde. "Das hat ihn so mitgenommen, dass er einige Wochen später Selbstmord begangen hat aus lauter Verzweiflung." Mit seiner Dienstwaffe aus dem Ersten Weltkrieg hat er sich das Leben genommen. Das Eiserne Kreuz lag neben ihm.

 

 

Heute erinnert ein Stolperstein am Ostwall in Krefeld an Dr. Kurt Hirschfelder. Eine Straße trägt seinen Namen ebenso wie ein Platz und ein Landschulheim. Und den Frauenverein gibt es immer noch. "Also Dr. Hirschfelder hat für den Krefelder Frauenverein eine ganz maßgebliche Rolle gespielt. Also ohne ihn, bin ich gar nicht sicher, dass es den Frauenverein noch geben würde!" Und so hält der die Erinnerung an den Kinder- und Frauenarzt Isidor Kurt Hirschfelder in Krefeld wach und bewahrt die gemeinsame Mission, Kindern zu helfen. Heute ist der Frauenverein unter anderem Träger des Kinderheims Kastanienhof in Krefeld.